Donnerstag, 31. Dezember 2009

Bielefeld Unplugged




Rheda Wiedenbrück


Fachwerk hat es in sich!



Wie nüchtern dagegen das zeitgenössische Handwerk.








Dr. Oetker oder: So spielt das nicht!


Wir sind für ein paar Tage in Bielefeld, und ich plane für mich ein minimales Kulturprogramm, das neben der Dr. Oetker Kunsthalle auch die Oetker Erlebniswelt beinhaltet. Es gibt übrigens einige wenige Institutionen, Gebäude und Locations, die nicht den Namen Oetker enthalten. Eigentlich schade, weil die Oetker-Linien oder Oetker Krankenanstalten oder Oetker-Arena durchaus Sinn machen würden. Ein Dr. Oetker Schlachthof, die Dr. Oetker Sondermüllverwertung, die Dr. Oetker- Welt-der-Erotik wären wohl umstritten.

Es regnet und ich sehne mich nach trockenen Bergen von Back- und Puddingpulver. Zu Fuß laufe ich von Meiners Kaffeehandlung zum riesigen Gelände der Oetker-Werke. Die eisenumgitterte rote Ziegelkathedrale vermittelt den Eindruck einer Festung. Hinter hellerleuchteten hohen Fensterflächen tummeln sich Menschen um eine meterhohe gelbe Pudding-Sturzform. Charly und die Schokoladenfabrik paart sich mit Fort Knox. Nirgends sehe ich einen Eingang. Vielleicht leben die Leute da drin so wie Familie Lutz (Möbeldiskonter in Österreich) oder sind es gar Avatare? Ich umrunde den ersten Klinkerblock und folge dem Schild: Oetker Erlebniswelt. Schließlich endet die Straße an einem Schlagbaum. Ein gläsernes Pförtnerportal scheint der Eingang zu sein. Mehrere Szenarien gehen mir durch den Kopf. Wie wäre es, nach Dr. Oetker selbst zu fragen? Hat er kurz Zeit für einen Plausch mit mir? Gibt es überhaupt reale Oetkers in der Nähe? Sie würden mich durchaus interessieren. Ich könnte mich für einen Journalisten eines Österreichischen TV-Magazins ausgeben oder für einen Blogger, der Industriellenfamilien porträtiert. Ich wähle die etwas fantasielose Option, nach einer spontanen Besichtigungsmöglichkeit zu fragen.

Hinter dem Glas betrete ich eine düster-spartanische Pförtnerwelt, in der ein Monitor läuft und hinter einem wiederum verglasten Tresen ein älterer Pförtner mit seinem Adlatus residiert. Der jüngere Mann wird wohl ein Verwandter sein, denn dieses Amt kann in diesem Imperium nur ein erbliches sein, das seit Jahrhunderten im Besitz der gleichen Familie ist, deren Kinder bereits mit Backpulver getauft werden und sobald sie sprechen können, ein Treuegelübde gegenüber ihren Dienstdamen oder -herren ablegen müssen. Was heisst müssen, handelt es sich hier doch um etwas sozusagen naturgegebenes.

Der ältere Herr bewegt sich ungläubig in meine Richtung und ich ahne in diesem Moment, dass das so sicher nicht spielt. Ich leiere meinen Spruch herunter und erwarte demütig das Urteil des mächtigen Styx, der diese Backunterwelt mitsamt ihren ehernen deutschen Regeln im Gleichgewicht hält und schützt vor einer brandgefährlichen Anarchistengruppen, namens „die Unangemeldeten“.

Eine Diskussion kommt in Fort Knox ebensowenig in Frage, wie irgendein peinliches Mitleidsszenario (Ich komme doch von so weit her). Und so schaue ich meinem Gegenüber völlig erwartungslos in die Augen, als sein knapp darunterliegender Sprechapparat die Worte formt:


So spielt das nicht


Jedes menschliche Lebewesen wäre hier verletzt und würde sich je nach Veranlagung wundenleckend entfernen oder Handgranaten und automatische Waffen auspacken und gediegen Amok laufen. Der durchschnittliche deutsche Staatsbürger kommt gar nicht erst in eine solche Situation, denn er meldet sich grundsätzlich bei allem und jedem mündlichschriftlichundelektronisch an und weiß um den Usus, hat man es mit solchen Mächten zu tun.

Ich handle mit dem guten William Gibson „lateral“ und packe ein knappes „Danke, Wiedersehen“ und eine Körperdrehung zum Ausgang zu einer gefühllosen unbeeindruckten Kunsthandlung zusammen. Und damit habe ich den Paladin überrascht. Er erwartete die Standardreaktion des zerknirschten winselnden Abgewiesenen, der die Wege nicht eingehalten hat und zeigt zum ersten Mal sein institutionalisiertes Entgegenkommen, indem er mir einen Folder anbietet. „Den kannst du Dir sonstwohin...“ sage ich nicht, sondern nehme es mit auf den Weg zurück in den Regen.

Mensch Oetker, was hätten wir vielleicht für eine nette anregende Unterhaltung gehabt, hättest du dich nicht in der Schokoladenfabrik isolieren lassen. Ist Herrschaft nur so möglich?

Ist Oetker real?

Ist die ganze Welt eine Erlebniswelt von Oetkerscher Dimension?


Darwin in NRW

Nach längerer Absenz erscheint mir die Brutalität der Autofahrer auffallend. Überhaupt scheint sich in der Zeit zwischen meinem Ortswechsel nach Österreich und 2009 das KFZ eine ganze Menge menschlichen Lebensraums erobert zu haben. Von den an sich breiten sog. Bürgersteigen haben sich erst mal die Fahräder eine üppige Hälfte herausgebissen. Dann wurde plötzlich ein gewaltiger Teil zur zusätzlichen Parkfläche, sodass zu-Fussgehen vom Idealzustand einer geraden Linie zu einem seltsamen Zickzacklauf wurde. Man muss sich ziemlich konzentrieren und immer wieder auf den Boden vor sich schauen, um keine Fehler zu machen. Selbst dann wird man von anderen Fußgängern, Radfahrern oder Rollatoren zumindest touchiert.

Es ist allerdings auch ein Irrtum, sich auf einem Gehsteig sicher zu fühlen. Als wir nach dem Frühstück zum Hotel gehen, rast plötzlich ein Mercedes von links direkt vor uns über den Gehweg, der eine Art Einfahrt bildet. Er verringert nicht im Geringsten seine Geschwindigkeit, obwohl er ja irgendwie zwischen 2 Medien wechselt, vom kraftfahrerischen Asphalt auf das eher fußgängerische Pflaster. Wir beiden Gestalten spielen da überhaupt keine hemmende Rolle und überleben knapp, um aus dem Wagen einen eleganten über-50-Jährigen aussteigen zu sehen, der da wohl irgendein schnelles Terminchen oder Geschäftchen abzuwickeln hat.

Ich bin es von Wien gewohnt, als Fußgänger im Autodschungel der Großstadt zu überleben, indem ich die uralten Instinkte des gejagten Säugers verwende, aus den Augenwinkeln ständig beobachte, mich nicht auf modernes Signalwesen verlasse, sondern auf die ureigenen Sinne: Augen und Gehör. Nie würde ich mit Kopfhörern auf den Ohren über die brausenden Verkehrsadern taumeln. Die Autofahrer in Wien erschienen mir immer aggressiv, sogar im Nationalpark des Fußgängers, dem Zebrastreifen. Nach den Erfahrungen in Bielefeld muss ich das revidieren. Da wurde es oft knapp für mich. Keine Ahnung, wo die herkamen, wenn ich flott die Straße querte, nachdem ich mich sorgfältig umgesehen habe. Sie rasen ohne jede Tötungshemmung direkt auf einen zu.

Ich liebe das Spielchen des Augenkontaktes, wenn ich die Straße überquere. Dabei fixiere ich den Heranrasenden und versuche ihm durch freundlichen Blickkontakt, die Lust auf's Töten zu versauen. Das hat hier nie funktioniert. Da schaut keiner zurück. Mit der Ausbildung des Militärpiloten krallen sie sich mit Tunnelblick an ihre Mission: Stärker sein, wenn nötig töten.

Fußgänger sind hier wirklich nicht vorgesehen und überhaupt nicht beliebt. Es ist eine Gesellschaft

hochgerüsteter Ritter in ihren Panzern, die sich ihre Schlachten liefern und einfach keine Rücksicht auf die paar Krabbeltiere nehmen können, die bis jetzt überlebt haben.

Diese Kampfmentalität findet sich auch in anderen Situationen.

So ist der öffentliche Verkehr, die Bahnhöfe, das Ein- und Aussteigen die Arena der Nachkriegsgeneration. Die haben noch die Ellbogenpower der arischen Rasse im Blut, zusätzlich gepowert von der Gier des Wirtschaftswunders. Da heisst es beim Halten des Zuges erst einmal Druck machen, Vorstoß, Position sichern, Brückenkopf bauen, shock and awe (nennen es die Amerikaner im Irakkrieg). Auf keinen Fall darf die Front einbrechen, wer aussteigen will muss sehr flott sein und wie eine Dampframme rausbrechen oder er wird plattgemacht.

Die Gesichtsausdrücke sind bei all diesen arterhaltenden, vorteilverschaffenden Maßnahmen ähnlich: Schmallippig verschlossen, ohne das geringste Anzeichen von kränklicher Empathie, begleitet von einem giergesteuerten unruhigen Herumzucken der Pupillen. Das Ziel wird fokussiert und ab dann der ganze Körper (+zusätzliche Tools wie das Auto) als Projektil eingesetzt, um dieses Ziel zu erreichen, so effektiv wie möglich.

Gehen sie mal nach Weihnachten durch die Fußgängerzone. Da weicht keiner aus.

Das alles ist nichts neues. Das Phänomen der Ellbogengesellschaft ist millionenmal beschrieben, wird in Gottesdiensten bejammert, in Kolumnen aufgewärmt. Sorgen macht mir eher mein jämmerlicher Umgang mit dem Phänomen. Wieso fällt mir das überhaupt auf? Bin ich auf dem Land so verweichlicht worden? Gibt es irgendwo psychologische Hilfe für mich, Trainingszentren für arterhaltende Härte, Hasscoaching, Desensibilisierung?

Ich melde mich sofort an

Sonntag, 11. Januar 2009

Deutsch oder Englisch



Das sind 2 gegensätzliche Prinzipien:


Deutsch bedeutet Primat der Gemeinschaft, des Stammes, der Bewegung in guten wie in schlechten Zeiten. Das beinhaltet auch die Anerkennung von Strukturen und auch Unterordnung der eigenen Interessen, wenn nötig. Und diesen Zeitpunkt bestimmt der Stammesälteste oder Führer oder Boss oder Chef.


Englisch bedeutet Primat des Einzelnen. Gemeinschaft nur da, wo man es braucht und wo es Spass macht. Und auf keinen Fall Bevormundung. Jeder will höflich mit Respekt und Achtung behandelt werden und sei es der Penner aus dem U-Bahnschacht. Kritik und Auflehnung gehören zur Volkskultur in der Heimat von Robin Hood. Suchen wir einen ähnlichen Helden in Deutschland. Vergeblich. Unerwartet präsentiert die Schweiz einen Wilhelm Tell und Österreich einen Andreas Hofer. Der Deutsche muss mit seinem humorlosen Drachentöter Siegfried leben und wenn Martin Luther ein Freiheitsheld sein soll, dann schauen wir uns die heutigen Protestanten an.


Die staatliche Utopie, die sich hauptsächlich aus englischer Tradition entwickelt hat, sind die USA. Wie würden die Vereinigten Staaten aussehen, hätten sie sich mehrheitlich aus deutschem Kolonialismus entwickelt? Die Skyscraper hätten sich dank strenger Bauvorschriften nie so aufgetürmt. Die Verbreitung von Waffen hätte sich auf Exekutivorgane und die Jäger und Sportschützen beschränkt. Und die Freiheitsstatue wäre ein Riesen Gartenzwerg.




Nicht sehr cool.