Freitag, 31. Dezember 2010

Bielefeld Revisited


Wegen anhaltender Schneefälle brach der Personenverkehr völlig zusammen. Seltsamerweise ist damit der Autoverkehr gemeint. Und das war gut, denn ich konnte erstmals seit einigen Jahren die Straße ungefährdet überqueren und es roch merklich besser. Natürlich war auch erstmals die Stille Nacht eine wirklich stille Nacht. Es war immer noch schwierig, durch die Straßen zu gehen, weil die havarierten Autos kreuz und quer standen, sich zum Teil übereinander geschoben hatten und niemand in der Lage war, die Halden abzubauen.
Der Deutsche, gewohnt, fast alle Wege motorisiert zurückzulegen, blieb zuhause und tickte fast aus vor soviel Ruhe und Stillstand. Da entlud sich einiges in den Familien und den Stammkneipen. Natürlich wurde auf die Stadt geschimpft, die ja immer noch mit Steuergeldern versorgt wurde, um alles Wichtige zu gewährleisten. Der Bürgermeister und die Stadträte hatten sich schon mal in den Schiurlaub verdrückt und ein paar untergeordneten Beamten den undankbaren Job überlassen, wütende Bürger zu beruhigen und der Presse ein paar Lügenmärchen aufzutischen. Die wohlhabenden Bürger konnten sich selbst organisieren, indem sie ihre Wohnbezirke von eigenen Trupps räumen ließen oder einfach in die Luft auswichen.
Dass es böses Blut gab, wurde in Kauf genommen und mit einem verständnisheuchelnden Schulterzucken kommentiert. Sie waren ja immer irgendwo wichtig und wurden dringend gebraucht. Jetzt wurde langsam klar, wohin die Umverteilung des gemeinsamen Vermögens führen sollte. Es ging wirklich um die Vorbereitung auf das allgemeine Chaos.

Freitag, 10. Dezember 2010

Stadtrat Gerstl, Wien meint ...

man müsse das Rowdytum bei den Radfahrern bekämpfen.
Dann wären vielleicht auch die Leute von der Résistance einfach Rowdys gewesen, Robin Hood der Oberrowdy, Spartakus, Daniel Ellsberg und viele andere.
Ein simples Weltbild, das nicht hinterfragt, was diese störenden Freaks dazu gebracht hat, rowdyhaft zu werden.
In einer mobilen Stadtwelt der Neuzeit gibt es wie in der Tierwelt Räuber und gemütliche Pflanzenfresser. Wer sind denn nun die Räuber? Da sucht der Gerstl mal zuerst bei den Radfahrern mit ihren panzerbrechenden PS-starken Monstermaschinen, die leicht ein schmächtiges SÜVchen plattmachen oder gar spalten könnten. Die sind sicher bereits mit diesen mörderischen Rowdygenen geboren worden und haben die einst friedlichen Autofahrer erst so angriffslustig gemacht. Die handeln in Notwehr, wenn sie mal so einen Radrowdy auf der Kühlerhaube mitnehmen.
Was Gerstl aber noch bisher unterschätzt, ist die kommende Gefahr des Rowdytums bei Fußgängern, die an Zebrastreifen gleich Selbstmordattentätern in friedlich einbiegende Autos hineinrennen und diese häßlich verbeulen, anbluten und deren Fahrer (-innen) schrecken.
Ist es nicht an der Zeit, für Fußgänger wie für Radfahrer in Städten ein psychologisches Gutachten zu verlangen und sie monatlich zu testen auf ihre Bereitschaft zu aggressiven Akten. Auch die Polizei sollte geschult werden, diese neuen Gefahrenquellen frühzeitig zu erkennen und rechtzeitig aus dem öffentlichen Verkehr zu extrahieren, anstatt Autofahrer mit lästigen Tempokontrollen zu nerven.
Wie wäre es, mit Warnschildern, die an Radwegen warnen vor Radlerattacken oder an Zebrastreifen vor aggressiven Überquerulanten?
Gerstl, der Mann, der die Gefahren sieht!

Donnerstag, 9. Dezember 2010

Zahnarzt Emergency im 21.Bezirk Wien

Enges Wartezimmer mit Sperrmüllfeeling. Aus dem Fenster springe ich in den Hof eines dieser grauen Gemeindebauten im Kasernenstil mit seinen noch graueren Bewohnern, tristen Einfahrten, suizidären Stiegenhäusern. Nicht mal eine Klingel für Frau Doktor. Von oben tropft ein Paar. Der Mann hält ein Taschentuch auf seinen Mund gedrückt, als hielte er einen angestauten Müllhaufen aus Eiter, Zahnfleischfetzen, Knochen- und Zahnsplittern in einem schäumenden Meer aus Blut zurück, das den 21. Bezirk wie die Mure Gottes. Das wäre die Erlösung für das lebensmüde Floridsdorf. Wir folgen der Blutspur und finden die Ordination von Frau Dr. M. Meine Frau nimmt Platz am Fenster bei dem winzigen Zeitschriftentisch mit seinem Turm aus Boulevard, etwas zerfetzt und zerfleddert. Vor uns sind etliche, uns gegenüber eine schnauzbärtige, männliche Kugel, schweigsam, den Blick des Delinquenten vor der Hinrichtung gesenkt. Wer hier sitzt, kennt seine Sünden, ahnt seine Strafe und hofft auf ein besseres Danach. Ein junger Mann rennt nervös herum, brabbelt vor sich hin. Als er drin ist, gibt es Geschrei. Dr. M. schreit ihn an, droht mit der Polizei und schmeißt ihn schließlich raus. Er faselt noch etwas von "Die kannst du vergessen" und verschwindet. Einer von beiden ist ein Psychopath, ich hoffe der Junge, fürchte aber gleichzeitig die Alternative. Schnauzbart ist dran und kommt schnell wieder raus. Sein Gesicht drückt pure Verzweiflung aus und er spricht in gebrochenem Deutsch von dem grausamen Urteil: Er wird nur noch 2 Schneidezähne behalten. "Sähe ich aus wie Osterhasse", spricht aus ihm der pure Galgenhumor. Wir sehen uns an und lachen ein verhaltenes Lachen, nicht schadenfroh, eher trotzig im Sinne von: Wir lassen uns nicht unterkriegen. Ab diesem Moment ist er menschlich für mich, nicht mehr der Schnauzbart, sondern der arme Kerl mit dem Schnauzbart, zukünftig der Osterhase, bzw. Österhase, wenn er eingebürgert wird. Und jetzt bin ich dran. Die Praxis erinnert mich an die Werkstatt des Russen in Minority Report, der Tom Cruise neue Augen einsetzt, irgendwie schmuddelig, alte Geräte, wie aus dem zahnärztlichen Museum. Vielleicht liegen auch archivierte Schmerzen herum in einer kleinen Kammer in versiegelten Aluröhrchen. Keine Aufschriften, nur eine zehnteilige Schmerzskala und ein Strichcode.
2 junge hübsche Helferinnen assistieren der Zahnärztin. Männlich herb ihre Stimme, die etwas ungläubig auf meine Ansage "Ftarke Fmerpfen unterm Backenzahn" gnadenlos die Gegenthese formuliert: "Im Röntgen sieht man nichts, der Zahn sieht gut aus". Wohl aber sei die Füllung kaputt, also raus damit. "Fpritze?" versuche ich noch vorzuschlagen, als bereits der Bohrer mit der Arbeit beginnt. "Der Zahn ist eh tot". Was immer an Entzündung da drinnen war, wird gerade unter einem fetten Amalgamfladen versiegelt, um mich weiter zu quälen. Ich fühle mich wie Gorleben mit der Zeitbombe in mir und werde mit Schmerzmittel und einem Antibiotikum ins eisige Floridsdorf entlassen. Vorm Zahnarzt sind wir alle gleich: Kleine Scheisser voller Angst und Pein.