Um halb 6 aufgewacht. Eine Schwester
begrüßt uns mit „Guten Morgen“ . Wir sind 3. Ich bekam das Bett
in der Mitte zwischen 2 Herren, die um einiges älter sind. Wir
liegen auf H 31. H steht für Herz und ist eines der noch nicht
runderneuerten Gebäude des Kaiser Franz Joseph Krankenhauses.
Es war sicher einmal ein wahres
Prachtstück vor guten hundert Jahren großzügig angelegt mit
Grünanlagen, einer von etlichen Pavillions.
Die Aufnahme war reibungslos verlaufen. Ich kam direkt von der Arbeit und die Schwester war sauer, weil ich so spät (aber genehmigt und angekündigt) kam. Eines der zahlreichen Kommunikationsprobleme.
Die Aufnahme war reibungslos verlaufen. Ich kam direkt von der Arbeit und die Schwester war sauer, weil ich so spät (aber genehmigt und angekündigt) kam. Eines der zahlreichen Kommunikationsprobleme.
Heute regnet es und ich warte auf meine
Herzkatheteruntersuchung. Ich hatte eine Voruntersuchung und erste
Visite von 2 Ärzten bereits gestern nach meiner Aufnahme am Abend.
Die beiden sind sehr jung, bemühen
sich aber nach besten Kräften um einen souveränen Auftritt, eine
feste investigative Stimme und die in Jahrtausenden gehegte Autorität
des Medizinmannes. Das alles soll auch zu einem gediegenen Einkommen
in absehbarer Zeit beitragen, incl. flottem Flitzer, Motoryacht und
hipper Hütte.
Ich habe immer das Gefühl, dass die
gleich schneiden wollen, aufmachen, Kontrolle über meine Organe.
Noch nie kam die Frage: Was möchten Sie hier?
Ich möchte nämlich nicht operiert
werden. Ich suche nach einer Medizin, die mich in meinem Wunsch
unterstützt, mit meiner außergewöhnlichen (ich vermeide bewusst
den Begriff „degeneriert“) Aortenklappe das Leben zu genießen.
Dafür verzichte ich gerne auf
Höchstleistungen, die eine Zigarette am Abend und gehe auch gerne
beruflich alles etwas ruhiger an. Natürlich sollte ich auch
Infektionen vermeiden.
Einer der Ärzte sagte, Schwarzenegger
hätte ebenfalls eine zusammengewachsene Herzklappe gehabt. Er hätte
zuerst eine Schweineklappe einsetzen lassen, danach eine aus Metall.
Und der Mann schaut doch prächtig aus. Das macht Mut. Aber ich
möchte ja nicht operiert werden.
Ich möchte immer auf dem selben
Wissensstand sein wie meine behandelnden oder untersuchenden Ärzte
und mir eine Meinung bilden. Das allein ist schon krank.
Ich suche außerdem den Mediziner
meines Vertrauens, einen, der zumindest den Anschein erweckt, dass er
sich a) für mich und/oder b) für sein Fach, sprich meinen Fall
interessiert.
Meine Herzklappe ist nämlich etwas
besonderes und verdient Zuwendung und Interesse. Sollte ich den/die
Supermediziner/in finden, werde ich mich und meine Herzklappe, falls
erforderlich in seine/ihre Hände legen.
Ich soll noch zum Lungenröntgen. Können Sie gehen? Was sonst, denke ich, oder bedeutet der Aufenthalt in einem Spital, dass man die Gehfähigkeit abgibt? Und so werde ich telefonisch angekündigt als "gehender Patient". Nach dem begangenen Röntgen, melde ich mich auf meiner Station ab und benutze meine Beine, um als gehender Patient mit einer ersten Nadel im Arm das nahegelegene Kinozentrum aufzusuchen. Mein Bettnachbar ist neidisch, weil er an der Flasche hängt und nicht mit kann. Bis elf ist die Station offen, dann muss man klingeln. Der Arzt meint, früher hätte man dem Portier ein Trinkgeld gegeben, wenn man spät kam, ich solle schon mal einen Hunderter mitnehmen. Ist ja geschenkt.
Ich wähle Ice Age 4, weil ich es für die Psyche eines Spitalspatienten für aufbauender erachte als eine Tschernobyl-Doku.
Ich soll noch zum Lungenröntgen. Können Sie gehen? Was sonst, denke ich, oder bedeutet der Aufenthalt in einem Spital, dass man die Gehfähigkeit abgibt? Und so werde ich telefonisch angekündigt als "gehender Patient". Nach dem begangenen Röntgen, melde ich mich auf meiner Station ab und benutze meine Beine, um als gehender Patient mit einer ersten Nadel im Arm das nahegelegene Kinozentrum aufzusuchen. Mein Bettnachbar ist neidisch, weil er an der Flasche hängt und nicht mit kann. Bis elf ist die Station offen, dann muss man klingeln. Der Arzt meint, früher hätte man dem Portier ein Trinkgeld gegeben, wenn man spät kam, ich solle schon mal einen Hunderter mitnehmen. Ist ja geschenkt.
Ich wähle Ice Age 4, weil ich es für die Psyche eines Spitalspatienten für aufbauender erachte als eine Tschernobyl-Doku.
Derweil werde ich mitsamt Bett durchs
Haus geschoben, in ein Fahrzeug verladen und nach Kathederland
verfrachtet. Da sind alle entspannt und ich werde zu jeder Zeit
tadellos informiert, was da gerade gestochen, gespritzt, ein- und
ausgeführt, rasiert, geschmiert oder geröntgt wird. Auf dem Monitor
kann ich ein wenig mitverfolgen, wie so ein Fädchen sich in meiner
Brust ringelt.
Ich kann ganz zart den Weg des Drahtes
durch den Arm spüren, dann nicht mehr. Erkennen kann ich nichts,
werde aber informiert, dass der heftige Strom meiner wuchtigen Klappe
die Kamera immer wieder wegpustet, sodass kein Bild zustande kommt.
Deshalb muss nach etlichen Versuchen
doch der Weg durch die Leiste gestochen werden, worüber ich mich
nicht wirklich freue. Der Arzt meint, die ganzen Drähtchen wären
optimiert für diesen Weg, weil es der traditionelle und erste Weg
war.
Inzwischen fühlt sich mein Daumen
etwas taub an und ich nutze das Vorhandensein einer Harnflasche, um
dem kräftigen Drang des Kontrastmittels nachzugeben. Tut das gut.
Endlich gelingt das Klappenshooting und ich werde erlöst. Mit
Druckverbänden und Pflastern reise ich wieder per Bett zurück in
meine Station. Erfrischende Regentropfen begrüßen mich. Oh, wie
dankbar bin ich, dass die Hitzewelle ein Ende hat.
Vor dem Mittagessen erlebe ich meine
erste Visite. Der Stationsarzt brüllt Anweisungen, Fragen,
Antworten, Vorwürfe so laut, dass ich bereits über das
Nachbarzimmer Bescheid weiß. Der Voraustrupp ist bereits im Zimmer.
Zettelfuchtelnd folgt der Stationsarzt. Wem auch immer teilt er
lautstark mit, dass er seit 80 Stunden im Dienst ist. Er wird sich
doch nicht bei den Patienten ausheulen? Die Botschaft für uns 3
kommt an: Lasst den Mann bloß in Ruhe, nicht widersprechen, am
besten überhaupt nicht sprechen oder vorsichtig bestätigen. Bei
meinem Nachbarn geht es um einen Sturz in der Nacht, bei mir
eigentlich um nichts, ausser dass ich angeblich nach Bad Homburg will
zur Rekonstruktion, also einer der sich selber managt. Okay für ihn,
eventuell ein wenig beleidigend für den medizinischen Standort
Österreich, aber er lässt es nicht spüren und verspricht mir einen
Arztbrief hoffentlich nicht für Bad Homburg, denn Homburg liegt im
Saarland und ist Bad-los. Egal, ich bin durch.
Der arme S. kommt dann voll dran. Er
ist sauer, weil es ihm um eine Herzklappe geht und er eine
Darmspiegelung hatte. Tja, da sind halt noch ein paar
Voruntersuchungen nötig, haben wir Probleme damit?
Herr S. Grummelt.
Sagen Sie was
S. grummelt; basst scho.
Scheinbar nicht.
S. grummelt noch mehrmals ohne was zu
sagen, bis er schließlich doch noch zum Ausdruck bringt, dass er das
Gefühl hat, dass nix weiter geht.
Sie müssen sich auch gar nicht
operieren lassen.
S. findet alles okay. Stationsarzt doch
nicht explodiert nach 80-Stunden-Schicht.
Und schon sind alle weg und der
Essenstransport fährt vor. Das ist unter den gegebenen Umständen
das Highlight des Tages und hinterlässt drei wortlos sich
vollstopfende Visitierte.
Richtig glücklich bin ich dann, als
mich meine Frau besucht.
Man informiert mich, dass ich morgen
nach der Visite aus-checken kann.
So nach und nach werden die Verbände
entfernt und enthüllen 2 winzige, schön verheilte Eintrittswunden.
Die Nächte sind hart. Ich liege
zwischen Schnarchbär und Rumpelstilzchen und im Nebenzimmer, einem
Einzelzimmer residiert das Krokodil. Noch niemand hat es gesehen,
jeder hat es gehört. Wer den Drachen Dagobert aus Kasperl kennt,
sollte sich die dreifache Lautstärke vorstellen, dazu weniger
Verständlichkeit und mehr Gejammer. Das Krokodil hat ausgedehnte
Brüllphasen, gegen die wir uns durch sofortiges Verschließen der
Flurtür zur Wehr setzen. Viel mehr kann man nicht tun, es sei denn
man hat Ohrstöpsel oder Kopfhörer im Gepäck.
Nachdem meine Verbände entfernt und
die Eintrittswunden gut verheilt sind, spaziere ich durchs Haus. Im
Treppenhaus gibt es eine Fotoausstellung vielleicht von einem
hobbyversessenen Primararzt, der sich so von den Niederungen
stöhnender Krokodile erholt. Es geht um Delphine und andere
Meerestiere. In originellen, qualitativ beachtlichen Fotomontagen
schwimmen Fischschwärme durch die Wüste. Das Bild heißt in etwa
„Clownfischfamilie auf Urlaub“.
Angekündigt werden neue Fotos im
September. Schade, bin schon weg, denke ich, bis mein Blick auf die Jahreszahl
fällt: 2007, das Jahr des Delphins.
Mein Liebling im Treppenhaus ist ein
betagter Aufzug, dessen Besonderheit ist, dass er immer funktioniert und
die Tür automatisch aufschwingt. Ich benötige 3 Fahrten, um endlich
zu begreifen, dass ich die Finger von der Tür lassen muss. Dann sind
wir dicke Freunde und ich beobachte ergriffen, wie dieses
vorsintflutliche Teil gemächlich, aber verlässlich eine innere
Falttür öffnet und dann mit Klick und Klack die äußere beige
lackierte Tür öffnet. Man muss einfach nur Knöpfchen drücken und
abwarten.
Im Keller stehen 2 Getränkeautomaten,
einer davon für diverse Kaffeespezialitäten. Leider ist mir alles
Kleingeld abhanden gekommen, sodass ich mich verzweifelt nach einer
Wechselmöglichkeit umsehe. Da kommt ein kräftig gebauter Mann und
bietet mir Hilfe an. Er kann zwar nicht wechseln, dafür spendiert er
mir einen Kaffee, ist doch klar. Er ist türkischstämmig, d.h. wie
ich migrationshintergründig. Seine Familie ist riesig, dreistellige
Zahlen, und wächst rasant. Ich rechne hoch, dass sie innerhalb der
nächsten 20 Jahre die Mehrheit in Österreich und Deutschland
ausmachen könnte. Er sieht super aus und arbeitet seit mehr als 20
Jahren als Techniker für das Krankenhaus. Außerdem ist er ein
netter Typ.
Gerade erhalte ich den Arztbrief und
nun trennt mich nur noch eine Nadel in meiner Vene vom Abflug. Als
die Schwester kommt, fragen wir sie nach dem Krokodil im Nebenzimmer.
Vorher war mir schon aufgefallen, dass die Schwestern öfter
kicherten, wenn sie den Mann behandelten.
Sie meinte, er wäre lustig. Manchmal
würde er weinen und singen. Er kommt schon seit Jahren, wegen
Krankheit, meint sie kryptisch.
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