Sonntag, 15. Juli 2012

FJK

12. bis 14. Juli

Um halb 6 aufgewacht. Eine Schwester begrüßt uns mit „Guten Morgen“ . Wir sind 3. Ich bekam das Bett in der Mitte zwischen 2 Herren, die um einiges älter sind. Wir liegen auf H 31. H steht für Herz und ist eines der noch nicht runderneuerten Gebäude des Kaiser Franz Joseph Krankenhauses.
Es war sicher einmal ein wahres Prachtstück vor guten hundert Jahren großzügig angelegt mit Grünanlagen, einer von etlichen Pavillions.
Die Aufnahme war reibungslos verlaufen. Ich kam direkt von der Arbeit und die Schwester war sauer, weil ich so spät (aber genehmigt und angekündigt) kam. Eines der zahlreichen Kommunikationsprobleme. 

Heute regnet es und ich warte auf meine Herzkatheteruntersuchung. Ich hatte eine Voruntersuchung und erste Visite von 2 Ärzten bereits gestern nach meiner Aufnahme am Abend. 
Die beiden sind sehr jung, bemühen sich aber nach besten Kräften um einen souveränen Auftritt, eine feste investigative Stimme und die in Jahrtausenden gehegte Autorität des Medizinmannes. Das alles soll auch zu einem gediegenen Einkommen in absehbarer Zeit beitragen, incl. flottem Flitzer, Motoryacht und hipper Hütte.
Ich habe immer das Gefühl, dass die gleich schneiden wollen, aufmachen, Kontrolle über meine Organe. Noch nie kam die Frage: Was möchten Sie hier?
Ich möchte nämlich nicht operiert werden. Ich suche nach einer Medizin, die mich in meinem Wunsch unterstützt, mit meiner außergewöhnlichen (ich vermeide bewusst den Begriff „degeneriert“) Aortenklappe das Leben zu genießen.
Dafür verzichte ich gerne auf Höchstleistungen, die eine Zigarette am Abend und gehe auch gerne beruflich alles etwas ruhiger an. Natürlich sollte ich auch Infektionen vermeiden.
Einer der Ärzte sagte, Schwarzenegger hätte ebenfalls eine zusammengewachsene Herzklappe gehabt. Er hätte zuerst eine Schweineklappe einsetzen lassen, danach eine aus Metall. Und der Mann schaut doch prächtig aus. Das macht Mut. Aber ich möchte ja nicht operiert werden.
Ich möchte immer auf dem selben Wissensstand sein wie meine behandelnden oder untersuchenden Ärzte und mir eine Meinung bilden. Das allein ist schon krank.
Ich suche außerdem den Mediziner meines Vertrauens, einen, der zumindest den Anschein erweckt, dass er sich a) für mich und/oder b) für sein Fach, sprich meinen Fall interessiert.
Meine Herzklappe ist nämlich etwas besonderes und verdient Zuwendung und Interesse. Sollte ich den/die Supermediziner/in finden, werde ich mich und meine Herzklappe, falls erforderlich in seine/ihre Hände legen.
Ich soll noch zum Lungenröntgen. Können Sie gehen? Was sonst, denke ich, oder bedeutet der Aufenthalt in einem Spital, dass man die Gehfähigkeit abgibt? Und so werde ich telefonisch angekündigt als "gehender Patient". Nach dem begangenen Röntgen, melde ich mich auf meiner Station ab und benutze meine Beine, um als gehender Patient mit einer ersten Nadel im Arm das nahegelegene Kinozentrum aufzusuchen. Mein Bettnachbar ist neidisch, weil er an der Flasche hängt und nicht mit kann. Bis elf ist die Station offen, dann muss man klingeln. Der Arzt meint, früher hätte man dem Portier ein Trinkgeld gegeben, wenn man spät kam, ich solle schon mal einen Hunderter mitnehmen. Ist ja geschenkt.
Ich wähle Ice Age 4, weil ich es für die Psyche eines Spitalspatienten für aufbauender erachte als eine Tschernobyl-Doku.

Derweil werde ich mitsamt Bett durchs Haus geschoben, in ein Fahrzeug verladen und nach Kathederland verfrachtet. Da sind alle entspannt und ich werde zu jeder Zeit tadellos informiert, was da gerade gestochen, gespritzt, ein- und ausgeführt, rasiert, geschmiert oder geröntgt wird. Auf dem Monitor kann ich ein wenig mitverfolgen, wie so ein Fädchen sich in meiner Brust ringelt.
Ich kann ganz zart den Weg des Drahtes durch den Arm spüren, dann nicht mehr. Erkennen kann ich nichts, werde aber informiert, dass der heftige Strom meiner wuchtigen Klappe die Kamera immer wieder wegpustet, sodass kein Bild zustande kommt.
Deshalb muss nach etlichen Versuchen doch der Weg durch die Leiste gestochen werden, worüber ich mich nicht wirklich freue. Der Arzt meint, die ganzen Drähtchen wären optimiert für diesen Weg, weil es der traditionelle und erste Weg war.

Inzwischen fühlt sich mein Daumen etwas taub an und ich nutze das Vorhandensein einer Harnflasche, um dem kräftigen Drang des Kontrastmittels nachzugeben. Tut das gut. Endlich gelingt das Klappenshooting und ich werde erlöst. Mit Druckverbänden und Pflastern reise ich wieder per Bett zurück in meine Station. Erfrischende Regentropfen begrüßen mich. Oh, wie dankbar bin ich, dass die Hitzewelle ein Ende hat.

Vor dem Mittagessen erlebe ich meine erste Visite. Der Stationsarzt brüllt Anweisungen, Fragen, Antworten, Vorwürfe so laut, dass ich bereits über das Nachbarzimmer Bescheid weiß. Der Voraustrupp ist bereits im Zimmer. Zettelfuchtelnd folgt der Stationsarzt. Wem auch immer teilt er lautstark mit, dass er seit 80 Stunden im Dienst ist. Er wird sich doch nicht bei den Patienten ausheulen? Die Botschaft für uns 3 kommt an: Lasst den Mann bloß in Ruhe, nicht widersprechen, am besten überhaupt nicht sprechen oder vorsichtig bestätigen. Bei meinem Nachbarn geht es um einen Sturz in der Nacht, bei mir eigentlich um nichts, ausser dass ich angeblich nach Bad Homburg will zur Rekonstruktion, also einer der sich selber managt. Okay für ihn, eventuell ein wenig beleidigend für den medizinischen Standort Österreich, aber er lässt es nicht spüren und verspricht mir einen Arztbrief hoffentlich nicht für Bad Homburg, denn Homburg liegt im Saarland und ist Bad-los. Egal, ich bin durch.
Der arme S. kommt dann voll dran. Er ist sauer, weil es ihm um eine Herzklappe geht und er eine Darmspiegelung hatte. Tja, da sind halt noch ein paar Voruntersuchungen nötig, haben wir Probleme damit? 
Herr S. Grummelt.
Sagen Sie was
S. grummelt; basst scho.
Scheinbar nicht.
S. grummelt noch mehrmals ohne was zu sagen, bis er schließlich doch noch zum Ausdruck bringt, dass er das Gefühl hat, dass nix weiter geht.
Sie müssen sich auch gar nicht operieren lassen.
S. findet alles okay. Stationsarzt doch nicht explodiert nach 80-Stunden-Schicht.
Und schon sind alle weg und der Essenstransport fährt vor. Das ist unter den gegebenen Umständen das Highlight des Tages und hinterlässt drei wortlos sich vollstopfende Visitierte.
Richtig glücklich bin ich dann, als mich meine Frau besucht.
Man informiert mich, dass ich morgen nach der Visite aus-checken kann.
So nach und nach werden die Verbände entfernt und enthüllen 2 winzige, schön verheilte Eintrittswunden.
Die Nächte sind hart. Ich liege zwischen Schnarchbär und Rumpelstilzchen und im Nebenzimmer, einem Einzelzimmer residiert das Krokodil. Noch niemand hat es gesehen, jeder hat es gehört. Wer den Drachen Dagobert aus Kasperl kennt, sollte sich die dreifache Lautstärke vorstellen, dazu weniger Verständlichkeit und mehr Gejammer. Das Krokodil hat ausgedehnte Brüllphasen, gegen die wir uns durch sofortiges Verschließen der Flurtür zur Wehr setzen. Viel mehr kann man nicht tun, es sei denn man hat Ohrstöpsel oder Kopfhörer im Gepäck.
Nachdem meine Verbände entfernt und die Eintrittswunden gut verheilt sind, spaziere ich durchs Haus. Im Treppenhaus gibt es eine Fotoausstellung vielleicht von einem hobbyversessenen Primararzt, der sich so von den Niederungen stöhnender Krokodile erholt. Es geht um Delphine und andere Meerestiere. In originellen, qualitativ beachtlichen Fotomontagen schwimmen Fischschwärme durch die Wüste. Das Bild heißt in etwa „Clownfischfamilie auf Urlaub“.
Angekündigt werden neue Fotos im September. Schade, bin schon weg, denke ich, bis mein Blick auf die Jahreszahl fällt: 2007, das Jahr des Delphins.

Mein Liebling im Treppenhaus ist ein betagter Aufzug, dessen Besonderheit ist, dass er immer funktioniert und die Tür automatisch aufschwingt. Ich benötige 3 Fahrten, um endlich zu begreifen, dass ich die Finger von der Tür lassen muss. Dann sind wir dicke Freunde und ich beobachte ergriffen, wie dieses vorsintflutliche Teil gemächlich, aber verlässlich eine innere Falttür öffnet und dann mit Klick und Klack die äußere beige lackierte Tür öffnet. Man muss einfach nur Knöpfchen drücken und abwarten.

Im Keller stehen 2 Getränkeautomaten, einer davon für diverse Kaffeespezialitäten. Leider ist mir alles Kleingeld abhanden gekommen, sodass ich mich verzweifelt nach einer Wechselmöglichkeit umsehe. Da kommt ein kräftig gebauter Mann und bietet mir Hilfe an. Er kann zwar nicht wechseln, dafür spendiert er mir einen Kaffee, ist doch klar. Er ist türkischstämmig, d.h. wie ich migrationshintergründig. Seine Familie ist riesig, dreistellige Zahlen, und wächst rasant. Ich rechne hoch, dass sie innerhalb der nächsten 20 Jahre die Mehrheit in Österreich und Deutschland ausmachen könnte. Er sieht super aus und arbeitet seit mehr als 20 Jahren als Techniker für das Krankenhaus. Außerdem ist er ein netter Typ.
Gerade erhalte ich den Arztbrief und nun trennt mich nur noch eine Nadel in meiner Vene vom Abflug. Als die Schwester kommt, fragen wir sie nach dem Krokodil im Nebenzimmer. Vorher war mir schon aufgefallen, dass die Schwestern öfter kicherten, wenn sie den Mann behandelten.
Sie meinte, er wäre lustig. Manchmal würde er weinen und singen. Er kommt schon seit Jahren, wegen Krankheit, meint sie kryptisch.  

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