Wir sind so weit gereist, um nun bereits den zweiten Vormittag am Eastman Lake herumzuhängen, der ja buchstäblich vor unserer Tür liegt. Und da sieht es eher wie an einem See im Voralpenland aus.
Dabei könnten wir nach Kanada reisen, Maine befahren, den Atlantik besuchen oder auf den Mt. Washington wandern. Nein: Handtuch, Bücher, Badehose, auf zum kleinen Sandstrand.
Eine Tafel mahnt, dass der Sand in den nächsten Jahren nicht erneuert wird.
Glauben die, dass wir hier Sand klauen und als Souvenir an Freunde verteilen?
Tochter rät uns dringend, adrett gekleidet (Badezeug drunter) zum Strand zu gehen. Keinesfalls die Umkleidekabine Badetuch benutzen.
Wer soll uns hier eigentlich beobachten? An den beiden Tagen sehen wir fast niemanden am See und wenn, dann nur für kurze Zeit. Da liegt dieser gepflegte See mit seinen sorgsam gerechten Sandstränden und kaum jemand nutzt ihn. Seit Tagen habe ich niemanden auf dem Trail um den See laufen oder wandern sehen außer mir selbst und mich sehe ich ja nur bruchstückhaft.
Nach welchem Eastman der See benannt ist, weiss ich nicht. Ein Kandidat wäre jedenfalls Charles Eastman, ein Sioux, der Dartmouth Collage besuchte. Er hat das Massaker am Wounded Knee miterlebt und war beteiligt am Aufbau der amerikanischen Boy Scouts.
Der See wird von einer Community organisiert und bewirtschaftet, die sich um Pflege, Sicherheit und Erhaltung kümmert.
http://www.eastman-lake.com/
Um den See sind alle paar Meter üppige Holzvillen im dichten Wald so gut versteckt, dass man sie vom See aus überhaupt nicht sehen kann. Es gibt sowohl fest dort Wohnende wie auch temporäre Nutzer.
Das Wasser des Sees hat eine bräunliche Färbung, die vom Untergrund kommt und hat mittlerweile eine angenehme Temperatur. Der Schwimmbereich ist knapp bemessen, um irgendwelche Wasservögel nicht zu stören.
Als wir eintreffen erwartet uns Kindergeschrei, eine Seltenheit. Eine Mutter mit 3 kleinen Kindern und einem Leiterwagen voll mit Spielsachen. Nach einer halben Stunde geht sie. Ich habe die Kinder gar nicht spielen sehen. Wieder mal ein Herr mit Hund, kurzer Wortwechsel und weg. 3 ältere Herrschaften, z.T. körperlich beeinträchtigt, gehbehindert sind etwas kommunikativer und fragen, ob man schwimmen kann. Ich werbe für das Wasser mit "I survived" und tatsächlich wird gebadet.
Währenddessen lese ich Jutta ein Kapitel aus "Der dritte Schimpanse" von Jared Diamond vor, in dem beschrieben wird, nach welchen Kriterien sich Menschen Lebens- oder Sexualpartner aussuchen. Wir haben viel Spaß bei der Selbstprüfung, als wir Ohrläppchenlänge, Haar-, und Augenfarbe vergleichen.
Die 3 Alten ziehen gerade ab. "I survived too" , meint Oma stolz und wir lachen.
Ich habe den Eindruck, dass jeder von obskuren Terminen und Zwängen daran gehindert wird, hier einfach mal ein paar Stunden abzuhängen und nur blöd auf's Wasser zu schauen.
Das wäre ja Verschwendung!
Aus rein therapeutischen Gründen bleiben wir so lange bis sich dieses Gefühl der Verschwendung einstellt. Da beginnt für mich Auszeit: Hirn im Leerlauf, weder Buch noch Musik im Ohr.
Dann brechen wir auf, weil wir zu einem Termin müssen: Klamotten für Franzi kaufen.
Wir holen sie in Dartmouth College ab und fahren nach West Lebanon, einem ziemlich erbärmlichen Kaff mit einer gewaltigen Shoppingmall.
Auf dem Parkplatz brütet einen fürchterliche Hitze. Es ist als würde man aus dem gekühlten Auto direkt auf einen Grill hopsen und vom Grill in die Gefriertruhe der klimatisierten Geschäfte.
Und dann tue ich es. Vor CVS (so eine Art Drogerie) warte ich im Auto auf Jutta und Franzi.
Mit leichtem Kribbeln in den Fingern lasse ich den Motor laufen und mit ihm die Klimaanlage.
Amerikaner sein. Die Skrupel brechen weg wie das polare Eis in Zeiten der globalen Erwärmung.
Ein wenig das Fenster auf, Radio an und Klimaanlage, Gebläse auf Stufe 2, Körper dankt.
Gewissen schreit gefoltert auf irgendwo in einem schalldichten Verlies.
Franzi fragt, ob ich angesichts dieser tropischen Hitze die Einheit Amerikaner und Aircondition verstehe.
Sie sind stolz darauf, sich diese Verschwendung leisten zu können.
Die armen Europäer, die verskrupelt leiden und sich die Energie nicht leisten können.
Heute müssen wir erstmal raus aus dem Haus und damit auch weg vom See.
Skrupellos wirft Jutta noch eine Ladung Wäsche in den Trockner.
Und da schließt sich der Kreis. Zuhause schleppt sie die Wäsche raus zum Trocknen und wir klimatisieren nur durch Verdunkeln und gezieltes Lüften. Dafür müssen wir auch nicht so schuften, dass wir keine paar Stunden übrig haben, um blöd auf's Wasser zu schauen. Guter Deal?
Unser Deal!
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